Der Charme des Reduzierten

 Auch diesmal entfaltete sich durch die konzertante Atmosphäre und die instrumentale Reduktion auf das Notwendigste ein Kaleidoskop ebenso einfühlsamer wie exzellent interpretierter Songs. Musik als wohliges Klangbett, in das man sich fallen lassen konnte, mit Musikerinnen und Musikern, die sich alle in die Herzen des Publikums sangen.   

 Die junge Gitarristin und Sängerin FRANZI aus Villingen/Schwenningen eröffnete den Abend mit selbstkomponierten, englischsprachigen Songs. Balladeskes wie "The River", "Silence" oder "Melody" präsentierte sie mit schlichter aber effektiver Gitarrenbegleitung auf der Akustischen, die ihre ausdrucksstarke, bisweilen an Joan Baez erinnernde Stimme in den Vordergrund rückte. Auch mit ihrer vom Publikum geforderten Zugabe, einer Coverversion von Amy Macdonalds "This Is The Life", konnte die Newcomerin aus dem Schwarzwald spiel- und gesangstechnisch überzeugen. Man darf auf den weiteren künstlerischen Weg von FRANZI gespannt sein.

  Den anschließend auftretenden Songschreiber und Multiinstrumentalisten GUIDO GOH kannten manche bereits als Teilnehmer der TV-Reihe "Voice Of Germany". Kennzeichen: Exotisches Instrumentarium, gut ins Ohr gehende Songs und ein sympathisches breites Grinsen. Neben seinem E-Piano und einem indischen Harmonium brachte er seine speziell für ihn aus Teilen einer Sitar und Sarod umgebaute "Sisa" mit. GUIDO GOH schraubte den Mitsingfaktor mit eingängigen Refrains gleich mal hoch. Die anwesende "Kirchengemeinde" (O-Ton Goh) ließ sich nicht lange bitten und füllte den Raum mit ihrem Gesang.

 Auch der auftrittserfahrene Musiker aus dem Dithmarschen in Schleswig-Holstein weiß um die Wirkung von eingestreuten Coverversionen bei Liveauftritten und erfreute die Besucher mit seinen Bearbeitungen von "Crying In The Rain" (a-ha), "With Or Without You" (U2) sowie "In The Air Tonight" (Phil Collins), die er alle bereits bei "Voice Of Germany" vor einem Millionenpublikum performt hatte. Aufgrund der begrenzten Auftrittsdauer beim "Sanfte Töne Festival" hätte ich persönlich von GUIDO GOH statt mehrerer Popklassiker gerne weitere eigene Songs gehört, was sein gelungenes und mitreißendes Set jedoch nicht schmälern soll.    

  RAINEE BLAKE trat im Rahmen ihrer ersten Deutschland-Tour beim "Sanfte Töne Festival" auf. Die Australierin nahm es humorvoll, dass fast niemand in der Kirche die in den USA enorm erfolgreiche TV-Streaming-Serie "Nashville" kannte, für die sie die Rolle der Alannah übernommen hat. Die hierzulande bisher nahezu unbekannte Musikerin und Schauspielerin mit derzeitiger Homebase Los Angeles überraschte mit einem enorm lässigen Auftritt wohl alle Festival-besucher. Sie erinnerte mit ihrer Erscheinung und ihrem klaren, hellen Gesang frappierend an eine junge Joni Mitchell, wenn da nicht neben dem Hang zur Roots-Music eine durchaus soulige Gangart und vor allem diese coole Telecaster-Gitarre gewesen wäre, auf der sie sich lässig und mit souveräner Spieltechnik begleitete. Der Einfluss der kalifornischen Singer/Songwriter-Legende Carol King schimmerte in ihren gefühlvollen Eigenkompositionen ebenfalls durch. Mit den Soloversionen der beiden in diesem Jahr veröffentlichten Singles "Alone" und "Closer" beendete sie ihren Auftritt, der positive Vibes verströmte und Appetit auf mehr machte. Zuhause in den USA tritt RAINEE BLAKE oft mit kompletter Band auf, was ihrer Melange aus Neo-Soul, R’n’B, Rock und Country natürlich nochmals eine ganz andere Färbung verleiht.

 Mit dem irischen Musiker-Ehepaar KIERAN GOSS & ANNIE KINSELLA kam ein Duo auf die Bühne, bei dem man sofort spürte, dass es als Top-Act des Abends auf einige Erfolge mit vielen Liveauftritten zurückblicken kann. Die Gangart der Beiden war abgeklärt und ausgeruht, als hätten sie alle Zeit der Welt und nicht nur ein Set von lediglich circa 45 Minuten Spieldauer vor der Brust. Gitarrist und Sänger KIERAN GOSS wollte dann auch gleich mal wissen, wer aus dem Publikum schon seine Konzerte im nahen Bad Saulgau besucht hat, um zufrieden festzustellen, dass gar nicht so wenige die Hand hoben.

 Ihr enorm gut ins Ohr gehender Singer/Songwriter-Folk entfaltete auch in der Alten Kirche seine einnehmende Wirkung, was nicht zuletzt an KIERAN GOSS‘ warmer, vollen Stimme lag, die perfekt mit ANNIE KINSELLAS glasklarem, hellen Gesang harmonierte.  Auf der Setliste überwogen neue, während der Pandemie geschriebene Songs, wie das augenzwinkernde "The Sunny Side (Of Me)" oder "Bluebell", mit dem sie ihrer gleichnamigen Hündin ein Denkmal setzten. Vom aktuellen Album "Oh, The Starlings" umschmeichelte das zärtliche Schlaflied "Time To Go Sleeping" die Zuhörer. Natürlich durfte die Auswanderer-Ballade "Reasons To Leave" auch hier nicht fehlen. Eines von KIERAN GOSS‘ populärsten Liedern mit wehmütigen Zeilen, die einen großen Teil seiner Familiengeschichte widerspiegeln: "Reasons to leave are money and finding better work, reasons to stay are music and love". Der Ire hat 14 Geschwister, die inzwischen über die ganze Welt verstreut eine neue Heimat gefunden haben. 

 KIERAN GOSS und ANNIE KINSELLA sind beide klassische Storyteller, deren Anmoderation manchmal bald ebenso lang geht wie der Song selbst. Irgendwie hatte man am Ende ihres Sets das Gefühl, dass die Beiden etwas mehr Zeit gebraucht hätten, mit dem Publikum zusammen ihre Art von Performance zu entwickeln. Dennoch haben sie auch in dieser kurzen Zeit das Publikum mit ihrer natürlichen Bühnenpräsenz und tollem, zweistimmigen Gesang begeistert.

 Bei diesem Konzert-Format ist von Seiten der Musiker:innen statt eines riesigen Aufwands die Kreativität gefragt, mit "kleinem Besteck" etwas Besonderes zu bieten. Diesem Anspruch wurde das "Sanfte Töne Festival" auch diesmal wieder gerecht. Ein dickes Extra-Lob hat wieder einmal die Technik-Crew um Veranstalter und Festival-Booker JOJO SCHNEIDERHAN verdient. Seine Auswahl der Künstler hielt auch diesmal Überraschungen bereit. Der Soundmix und das Lichtdesign von DAVID VOLL und JÜRGEN ROOS waren wieder mal eine Klasse für sich. Niemand sonst lässt den Altar-Bereich der Alten Kirche in so märchenhaft schönen Farben erstrahlen.   

 
Die achte Ausgabe des „Sanfte Töne Festivals“ findet am 21. Oktober 2023 statt.

Sollte man unbedingt vormerken!

Text und Fotos: Miche Hepp