(Hannibal 2009) Einen interessanten Einblick in die organisatorischen Abläufe des Woodstock-Festivals gewährt Jörg Güldens Buch "Woodstock - Wunder oder Waterloo?". Es startet eher unspektakulär, entwickelt dann aber einen regelrechten Sog, der den Leser in die Ereignisse im Vorfeld des legendären Open Airs zieht.
Besonders gut gelingt es dem ehemaligen Chefredakteur des deutschen "Rolling Stone", die reaktionäre Haltung der Bevölkerung zu portraitieren, die damals im ländlichen Hinterland der Metropole New York City der Flowerpower- und Popkultur entgegenschlug, und die soweit führte, dass im Vorfeld des Woodstock-Festivals eine dem Ku-Klux-Clan ähnliche Bewegung gegründet wurde. Sympathisanten des Events wurde gedroht, sie zu teeren und zu federn sowie ihnen die Beine zu brechen. Farmern, die mit den Veranstaltern wegen des Geländes verhandelten, erhielten Briefe, in denen das Niederbrennen ihrer Wohnhäuser, "samt der Kinder drin" angekündigt wurde. Brandreden wurden gehalten, Plakate riefen zum Boykott der Farmer und Geschäftsleute auf, die mit den Veranstaltern verhandelten. Max Yasgur ließ sich letztendlich nicht von den Aktionen der reaktionären Nachbarn beeindrucken und stellte seine Kuhweide zur Verfügung, was ihm als Nichtmusiker einen Ehrenplatz in der Rockgeschichte einbrachte.
So sang Joni Mitchell in ihrer Festival-Ode "Woodstock": "I came upon a child of god. He's walking along the road and i asked him where are you going. And this he told me. He said: I'm going to Yasgur's Farm. I'm going to join in a Rock'n Roll Band. I'm going get back to the land and get my soul free.” So richtig bekannt machte den Song jedoch die neue Supergroup Crosby Stills Nash & Young, und in der Coverversion der britischen Band Matthew Southern Comfort ging "Woodstock" weltweit millionenfach über den Ladentisch. Auch die Hardrock-Band Mountain setzte Max Yasgur mit ihrem Song "For Yasgur's Farm" ein Denkmal.
In der Folge erfährt man vom Autor Details, die auch Woodstock-Kenner noch nicht unbedingt wussten. So wurde für das Festival von der Firma Altec extra eine P.A.-Anlage mit 16 riesigen, wasserdicht konstruierten Lautsprechern gebaut. Jede dieser Boxen war drei Meter hoch und brachte ein Gewicht von einer halben Tonne auf die Waage. Lesenswert auch folgende Begebenheit: Um die Bürger des nahen Örtchens Bethel zu beruhigen und ihnen die Angst vor dem Open Air zu nehmen, ließen die Festivalpromoter auf der halbfertigen Holzbühne vorab die Rockband Quill und das Earthlight-Theater auftreten. Doch statt Offenbach und Strauss zu spielen, gingen letztere splitternackt auf die Bühne, um das Publikum mit üblen Beschimpfungen zu provozieren. Spontan beschloss dieses daraufhin, auf der Zufahrtsstraße eine menschliche Barrikade zu errichten und so das Festival zu blockieren. Zu dieser äußersten Woodstock-Gegenmaßnahme kam es ja dann aber bekanntlich doch nicht mehr.
Auch beim Buchen der Bands fanden die Veranstalter nicht überall Zuspruch. So hagelte es Absagen von Frank Zappa, Led Zeppelin, The Moody Blues und Jethro Tull. Die Beatles wurden so ziemlich als erste Band angefragt. Die „Fab Four“ befanden sich aber bereits im Stadium der schleichenden Auflösung und winkten ebenfalls ab. John Lennon hätte gerne mit seiner brandneuen Plastic Ono Band gespielt, was aber wiederum den Veranstaltern nicht passte. Jörg Gülden würzt diese zahlreichen Fakten zum Woodstock-Festival mit eigenen, zum Teil beißend komischen Anekdoten, wie beispielsweise sein Aufeinandertreffen mit Rockstars, die dort auf der Bühne standen. Seine persönlichen musikalischen Abneigungen und manche Einschätzung kann ich bisweilen zwar nicht teilen, dennoch meldet sich hier eindeutig ein Fachmann und Insider zu Wort, der es geschafft hat, das vielfach kommunizierte Thema Woodstock-Festival ohne verklärende Art und Weise noch einmal spannend zu präsentieren.
Miche Hepp