Zeitreise


The Anythings erzählen ihre Geschichte

Mengens dienstälteste Rockband absolviert zum 60jährigen Bestehen zwei akustiklastige "Heimspiele" mit nicht alltäglicher Note

Als im Jahr 1965 ein paar 14- und 15jährige Jungs aus Ennetach THE ANYTHINGS gründeten, ahnte noch keiner der Beteiligten, dass sie mit dieser Band auch noch 60 Jahre später auf der Bühne stehen würden. Im kommenden Herbst und Winter feiert Mengens und wahrscheinlich auch Oberschwabens dienstälteste Rockformation ihr 60jähriges Jubiläum. Anlässlich des runden Geburtstags lassen die Youngsters von damals bei zwei besonderen Konzerten am 28. und 29. September in der Alten Kirche Rulfingen regionale Rockgeschichte wieder lebendig werden. Der erste Abend war in weniger als vier Tagen ausverkauft. Für das Zusatzkonzert am Sonntag, 29. September, 18.30 Uhr, sind derzeit noch Tickets erhältlich.

 

Von Weihnachten 1964 bis Anfang 1966 wurde im Proberaum ein Repertoire erarbeitet, dann ging es los! The Anythings bei ihrem ersten offiziellen Konzert im Februar 1966 im heute nicht mehr existierenden Ennetacher "Löwen".
Von Weihnachten 1964 bis Anfang 1966 wurde im Proberaum ein Repertoire erarbeitet, dann ging es los! The Anythings bei ihrem ersten offiziellen Konzert im Februar 1966 im heute nicht mehr existierenden Ennetacher "Löwen".

 Das Rock-Virus schlug zu, als die Brüder Harald und Edi Rapp beim "Boxauto" fahren auf einem Fest in Scheer den Beatles-Song "Rock’n Roll Music" hörten. Bald war den Beiden klar, dass sie eine Band gründen wollten. Doch es war schwierig, an Material zu kommen. Rock’n Roll und Beat im Radio waren eine Seltenheit, und um gute Platten kaufen zu können, musste man eine halbe Weltreise machen. Immerhin gab es am Sigmaringer Bahnhofskiosk den britischen "Melody Maker" zu kaufen, der fortan in der ganzen Clique die Runde machte. "Es war eine aufregende Zeit", erinnert sich Edi Rapp, der den Sängerposten innehatte. "Anfangs haben wir verschiedene Teile der Anlage ausgeliehen, um überhaupt auftreten zu können." Bis die Band auf richtigem Equipment losrocken konnte, mussten alte Röhrenradios als Gitarrenverstärker und anfangs im Proberaum sogar eine runde Waschmittelbox aus Karton als Trommel herhalten. P.A.-Anlagen gab es damals noch nicht, man drehte eben die Radiolautsprecher und Gitarrenverstärker auf, so gut es ging. Geprobt wurde übrigens am Samstagnachmittag bei Rapps im Keller, wo dann oft auch die Clique anwesend war. 

  Kleine Anekdote am Rande: Einige Jahre lang tat die Schlagzeug-Fußmaschine von Keith Moon bei THE ANYTHINGS noch gute Dienste. Der manische Drummer der Band The Who hatte beim Auftritt in der Ravensburger Oberschwabenhalle wie gewohnt sein Schlagzeug "zerlegt" und Teile davon ins Publikum geworfen. Später kam übrigens auch noch ein Gesangsmikro von MC 5 („Kick Out The Jams“) zum Anythings-Equipment. Gitarrist Harald Rapp hatte es aus dem Londoner "Marquee Club" mitgebracht, wo er die Kultband aus Detroit/Michigan während eines England-Trips live erlebte.

Live-Party am Sonntagnachmittag: The Anythings setzten in den wilden 60er-Jahren das Mengener "Eishaus" mit harten Beat- und Rock-Songs unter Dampf. Bassist Franz Xaver Sorg, Sänger Edi Rapp und Harald Rapp an der Gitarre in Aktion. (im Bild von links).
Live-Party am Sonntagnachmittag: The Anythings setzten in den wilden 60er-Jahren das Mengener "Eishaus" mit harten Beat- und Rock-Songs unter Dampf. Bassist Franz Xaver Sorg, Sänger Edi Rapp und Harald Rapp an der Gitarre in Aktion. (im Bild von links).

 Ihr erstes offizielles Konzert gaben THE ANYTHINGS Anfang 1966 in der Besetzung Harald Rapp (Gitarre, Gesang), Edi Rapp (Gesang), Karl Walter "Lupo" Luib (Sologitarre), Gerhard "Jerry" Leinz (Drums, Gesang) und Franz Xaver Sorg (Bassgitarre). Beim Debüt im Ennetacher "Löwen" traten sie noch brav in weißen Hemden an, was sich bald ändern sollte.

 

 Die Band verlegte ihre Auftritte nach Mengen ins "Eishaus", wo verschiedene Bands am Sonntag-nachmittag zum "Tanztee" aufspielten. Ein Begriff, der heute harmlos klingt, in den 60er-Jahren aber für wilde Tanzpartys stand. THE ANYTHINGS waren anders als die anderen Bands, die in der Eisdiele auftraten. Sie spielten mit Vorliebe harte Nummern wie "You Really Got Me" der Kinks, das unver-wüstliche "Wild Thing" der Troggs oder "The Last Time" von den Rolling Stones. Später kamen Songs von Jimi Hendrix und Cream mit dazu. "Ins Programm des Ennetacher 'Adlers' und der Hohentenger 'Sonne' passten wir nicht rein, weil es bei uns zu fetzig herging", resümiert Harald Rapp. "Tanzmusik war ein rotes Tuch für uns. Während andere Bands 80 Prozent Tanzmucke und 20 Prozent Rock spielten, war es bei uns umgekehrt." Dazu kam, dass THE ANYTHINGS nicht Sound machten, um Kohle zu scheffeln. Rockmusik sei damals nicht nur Hobby, sondern eine Lebenseinstellung gewesen. Ihre einzige "Konkurrenz" in Sachen "Rock an der Donau" sei damals die Riedlinger Gruppe The Power Play gewesen, die sich ebenfalls als Rockband verstand.

The Anythings im Jahr 1969 bei einem Konzert in Bad Buchau. Gitarrist Harald Rapp (links im Bild) hat den Platz des Drummers übernommen.
The Anythings im Jahr 1969 bei einem Konzert in Bad Buchau. Gitarrist Harald Rapp (links im Bild) hat den Platz des Drummers übernommen.

 Mit der Zeit kamen die "Stones von der Ablach" in der ganzen Region herum. Nun standen Städte wie Singen, Ebingen, Bad Buchau, Sigmaringen, Saulgau oder Biberach auf dem Tourplan. Im berühmt-berüchtigten Riedlinger Nachtlokal "Grüner Baum" wurde gerockt, bis abends die Stripperin den Vor-hang zuzog "und uns Buben nach Hause schickte", wie Edi Rapp schmunzelnd anmerkt. Die "Koralle" in Meßkirch, das Sigmaringendorfer "Revolution", beides bekannte Liveclubs der Region, zieren ebenfalls die Konzert-Historie. Als Druckvorlage für die Plakate musste übrigens ein aufwendiger Linolschnitt im Din A 2-Format (siehe unten) her-halten, je nach Anforderung wurde dann gepresst, was das Zeug hielt.  

 Das Line-Up wechselte im Laufe der Jahre, und auch die Songs wurden länger und härter. Der britische Blues-Boom und die Ära des Psychedelic-Rocks waren auch in Ober-schwaben angekommen. Mit Peter "Stone Free" Jung, Bohma Joe, Tommy Weber, Rolf "Käsu" Zaicescu, Klaus Schröder und Dietmar Butzengeiger intonierte man nun Erfolgsnummern von Taste, Steamhammer und der Keef Hartley Band.

Karl Walter "Lupo" Luib (links) und Harald Rapp beim Reunion-Konzert im Juli 2002 in der Alten Turnhalle Mengen. Fast alle aus der Urbesetzung waren am Start. Foto: Miche Hepp
Karl Walter "Lupo" Luib (links) und Harald Rapp beim Reunion-Konzert im Juli 2002 in der Alten Turnhalle Mengen. Fast alle aus der Urbesetzung waren am Start. Foto: Miche Hepp

 Im Gegensatz zu den meisten anderen regionalen Rockbands, die nun vermehrt Eigenkompositionen ins Repertoire integrierten, blieben THE ANYTHINGS bei ihrem Repertoire an gecoverten Songs, was sich übrigens bis heute nicht geändert hat. 1972 gingen die Musiker getrennte Wege. Die Schul- und Lehrzeit war zu Ende und einen Teil der Band zog es in die Ferne. Ein kurzes Comeback gab es Mitte der 70er-Jahre, wo zwei Gigs im Biberacher Schützenkeller gespielt wurden. Danach herrschte, abgesehen von einem privaten Reunion-Auftritt, 1991 auf dem Mengener Fliegerhorst, bis Anfang der Nuller-Jahre Funkstille.

 

 Heute leben einige der ehemaligen Bandmitglieder in ganz Deutschland verstreut. Um so erstaunlicher, dass es im neuen Jahrtausend dennoch mit THE ANYTHINGS weiterging. Anläßlich des 50er-Festes einiger früherer Bandmit-glieder organisierten Harald und Edi Rapp ein Revival-Konzert, das am 27. Juli 2002 in der Alten Turnhalle in Mengen fast mit dem Original-Line-Up der 60er-Jahre über die Bühne ging. Mehrere hundert Besuchern feierten mit der Band eine gelungene dreistündige Rockparty. Danach sammelten THE ANYTHINGS mit mehreren großen Benefizkonzerten Geld für gemeinnützige Projekte im im Raum Mengen. Teilweise wurden pro Abend 50 Beat- und Rock-Gassenhauer aus den Boxen geblasen. Mehr als 20.000 Euro konnten bis heute auf diese Weise gespendet werden. Zu diesen vom Publikum gut frequentierten, einmal jährlich stattfindenden Auftritten in der Originalbesetzung, reisten in den ersten Jahren extra auch Gitarrist Lupo Luib aus Berlin und Drummer Jerry Leinz aus Leverkusen an.

The Anythings im Jahr 2018, mit Sänger Peter Jung (Dritter von rechts), der leider im Mai 2024 verstorben ist. Inzwischen geht die Band in neuer Besetzung auf die Bühne. Von der Urbesetzung sind noch die Bandgründer Edi und Harald Rapp mit dabei.
The Anythings im Jahr 2018, mit Sänger Peter Jung (Dritter von rechts), der leider im Mai 2024 verstorben ist. Inzwischen geht die Band in neuer Besetzung auf die Bühne. Von der Urbesetzung sind noch die Bandgründer Edi und Harald Rapp mit dabei.

 Nachdem sich um 2010 ein festes Line-Up mit Musikerinnen und Musikern aus der Region herausgeschält hatte, kam auch der eine oder andere kleinere Kneipen-Gig mit dazu. So traten THE ANYTHINGS mit Erfolg auch mehrfach in Bad Saulgaus kultiger Konzertkneipe "Franziskaner" auf.  

Edi (links) und Harald Rapp live beim "Mengener Rockgipfel" im Jahr 2011. Im Hintergrund Bassist Rolf "Käsu" Zaicescu, eine oberschwäbische Szene-Legende durch sein Biberacher Musikfachgeschäft "Sound Circus". Foto: Miche Hepp
Edi (links) und Harald Rapp live beim "Mengener Rockgipfel" im Jahr 2011. Im Hintergrund Bassist Rolf "Käsu" Zaicescu, eine oberschwäbische Szene-Legende durch sein Biberacher Musikfachgeschäft "Sound Circus". Foto: Miche Hepp

 Landesweit in den Fokus der Medien gerieten THE ANYTHINGS vor sieben Jahren, als sie für die Ausstellung "Denn die Zeiten ändern sich …" im Stuttgarter Haus der Geschichte ihre erste Gitarre, das MC 5-Mikro und ein Original Bühnen-Outfit aus der Flower Power-Hochphase zur Verfügung stellten. Diese setzte sich mit Politik, Musik, Mode und Protest in den 60er-Jahren auseinander. Beat sei für sie damals auch immer eine Frage der Haltung gewesen, so Edi Rapp vor kurzem gegenüber der "Schwäbischen Zeitung". Ehrensache also für ihn und seinen Bruder Harald, ihr Weihnachtsgeschenk von 1964 (Akustikgitarre), das von den Mädels in der Clique selbst genähte Bühnen-Outfit - und jetzt kommt's: Eine ultra-rare Tape-Aufnahme des legendären Auftrittes von Jimi Hendrix am 19. Januar 1969 in der Stuttgarter Liederhalle - in die Landeshauptstadt zu geben. "Ich habe mir den tragbaren Kassettenrekorder von Edi ausgeliehen und das ganze Konzert lang das Mikro hochgehalten", erinnert sich Harald Rapp. SWR2 sendete übrigens im Rahmen einer Radio-Reportage bereits einen kurzen Auszug aus seiner "Bootleg-Aufnahme".  

 

 Im vergangenen Jahr gab es für Mengens älteste Rockband eine besondere Art der Adelung. Fürst Karl Friedrich von Hohenzollern schrieb in seiner im Oktober erschienenen Autobiografie über seine Anfänge als Musiker bei einer Sigmaringer Schülerband: "Wir spielten bei Schülerbällen und sogar bei einem Beat-Festival für Schülerbands. Auf diesen Festen knüpfte ich die ersten Kontakte in die Musikerszene, denn wir trafen hier immer wieder mit anderen Bands aus dem Sigmaringer Raum aufeinander wie den Roisters, den Pfister-Brüdern oder den damals schon im weiten Umkreis bekannten Anythings."

 Heute können die Beat-Buben von 1964 so manche nette Anekdote erzählen, so zum Beispiel die von der bekannten britischen Rockband Juicy Lucy. Nach deren Auftritt in der Mengener Disco "Woodstock" hatte man beim gemeinsamen Hähnchen vertilgen im Gasthaus „Graben“ viel Spaß. Die Rapp-Brüder und ihre Freunde waren vom Veranstalter als Betreuer der Engländer engagiert worden. Was von den vielen Erlebnissen bei den beiden akustiklastigen "Storyteller"-Konzerten am 28. und 29. September in der Alten Kirche Rulfingen zu hören sein wird, bleibt abzuwarten. Man darf gespannt sein! Es sollen jedenfalls Auftritte unter besonderen Vorzeichen werden. THE ANYTHINGS erzählen aus alten Zeiten, zeigen frühe Bandfotos und spielen ein speziell für diese beiden Abende zugeschnittenes Set mit Songs, die nicht bei jedem ihrer Gigs abgefeiert werden. In legendären  Zeiten schwelgen wird die heute weit verstreute Anythings-Clique sowieso, von der schon einige ihr Kommen zugesagt haben.  

 

THE ANYTHINGS werden in folgender Besetzung auftreten: Edi Rapp (Gesang, Gitarre), Harald Rapp (Gitarre, Harp, Lapsteel-Guitar), Ede Rall (Gitarre, Gesang), Michael Schmidt (Keyboards), Tommy Richter (Bass), Jochen Unger (Drums) und Diana Landthaler (Gesang). Das Konzert am 28. September ist, wie eingangs erwähnt, bereits ausverkauft. Für den Zusatzauftritt am Sonntag, 29. September, sind derzeit noch Tickets erhältlich. Sie sind ebenfalls auf 130 Stück limitiert. Konzertbeginn ist bereits um 18.30 Uhr.

 

Vorverkauf:

 

Vorverkaufskarten zu 10,00 Euro/Stück gibt es in Mengen (Stadtbücherei und Buchhandlung Lesereich - im Pop-Up Store), Sigmaringen (Buchhandlung Rabe) und Rulfingen (Bäckerei Neher).

 

 

Text: Miche Hepp

Bilder: The Anythings, wenn nicht anders angegeben

 

 

The Anythings Bildergalerie: